Ein Stück Gegenwart für später.

Ich mag Dinge, die alt sind. Möbel, mit denen man aufgewachsen ist. Ein Gemisch aus Gegenwart und Vergangenheit. Fotos, die in Kisten schon den ein oder anderen Umzug miterlebt haben. Schmuck, der innerhalb der Familie immer weitergegeben wurde. Dinge mit hohem emotionalem Wert. Früher hat man sich etwas angeschafft, dass dann ein Leben lang da war und vielleicht dann sogar weitervererbt wurde. Der Landhausküchenschrank von Oma, die Spazierstock von Opa mit den unzähligen Metallplaketten aus den Ländern, die er bereist hat. Die Kamera, mit denen das ganze Leben aufgezeichnet wurde. Die selbstgestrickte Babydecke, die bald vielleicht das eigene Kind bekommt. Das sind für mich Schätze. 

Ich selbst besitze eine kleine Schachtel mit alten Schwarzweiß Bildern meiner Vorfahren von beiden Familienseiten. Ich kenne die Personen auf den Fotos nicht und liebe es mir zu überlegen, ob der da vielleicht meine Nase hat oder ob mir das Lachen bekannt vorkommt. Erinnerungen an Zeiten und Menschen, die so anders waren als heute. Ich habe ein kleines goldenes Stück aus dem Uhrenarmband meines Opas – ein ziemlich unbedeutender Gegenstand, den ich seit meiner Kindheit hüte wie einen Schatz. Er hat ihn mir geheimnisvoll zugesteckt, in einer Schachtel mit Watte. Ich war furchtbar stolz, dass er mir diesen Schatz anvertraut hat. Von meiner Oma habe ich eine Sammlung alter 5 Reichsmark Stücke, die ich in einer hölzernen kleinen Schatztruhe aufbewahre und mich schon so einige Umzüge begleitet. Einen Opa habe ich fast nie kennengelernt, aber ich habe in unserem alten Monopoly Spiel einen grünen Schein mit einem Brandloch gefunden, das er laut Papa mit seiner Zigarette mal verursacht hat. Auf einmal war dieser Schein für mich etwas Besonderes, fast schon magisches. Ich liebe die Fotosammlung in hölzernen und goldenen Rahmen über der Kommode meiner Oma. Ich kenne jedes einzelne Bild, aber bei jedem Besuch stehe ich immer wieder fasziniert davor, als hätte ich sie noch nie gesehen. Alte, fast schon farblose Abzüge in ovalen Messingrahmen zwischen eckigen Kunststoffrahmen mit bunten Laserausdrucken.

Manchmal macht mich das ein bisschen traurig. Sind wir die letzte Generation, die solche Schätze besitzen? Was sollen wir unseren Kindern vererben? Das Expedit Regal? Unsere unsortierte Festplattensammlung? Das Passwort unseres Spotify Accounts? Unseren hart erarbeiteten World of Warcraft Spielstand? Unsere Möbel kaufen wir genau so unbedacht wie unsere Kleidung und unseren Schmuck. Nichts von unseren Besitztümern hat wirklich das Potenzial zu überdauern. Die Mappe mit den Grundschulzeugnissen vielleicht oder das Fotoalbum der Kindheitstage, als es noch üblich war, Fotos einzukleben. Manch einer hat vielleicht noch ein altes Plüschtier oder den ersten Gipsarm, Zahnspange, ein bedrucktes Kissen mit der ersten großen Liebe oder ein Freundschaftsalbum mit Mickey Mouse oder Diddl aus der Grundschule. Eine Pokemonkartensammlung in Plastikhüllen, eine silberne Kette mit Sternzeichenanhänger oder dem eigenen Namen. Das sind jedenfalls Dinge, die ich noch so in einer Kiste schlummern habe. Ein Holzdöschen mit Milchzähnen und mittlerweile sogar einen langen blonden abgeschnittenen Zopf. Erinnerungen zum Anfassen, greifbarer als alles, was man auf virtuellen Datenspeichern ablegen kann.

Ich hoffe wir verlernen nicht den Wert in diesen kleinen Dingen zu sehen, wenn das Leben ständig mit Veränderung reizt. Wir sollten versuchen Spuren zu hinterlassen, die nicht durch einen Knopfdruck zu löschen sind. Erinnerungen, die keinen Speicherplatz, Internet oder Akkulaufzeit benötigen. Ich möchte auch diese Wand mit Bildern in meinem Haus, keine digitale Slideshow.

 

Kleid: Sheinside*

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  • Hallo liebe Joanna,

    ich schaue nur ab und zu mal herein. Aber dieser Blogpost hat ein mulmiges Gefühl hinterlassen. Seit zwei Jahren studiere ich Design und wo, wenn nicht da, muss man sich der Realität der momentanen digital ausgerichteten Gesellschaft stellen? Dabei arbeite ich liebend gerne analog. Seit ca. einem Jahr verfolgt mich auch diese Frage: Was bleibt eigentlich noch von uns übrig? Es findet meiner Meinung nach eine Wertverschiebung statt, die wir nicht so akzeptieren können.

    Im Leben geht es nicht nur um Leistung, sondern auch um Produktivität in der Persönlichkeit. Wo soll das alles enden, wenn jetzt schon darüber nachgedacht wird, an Grundschulen keine Schreibschrift mehr zu lehren...? Nebenbei arbeite ich in einem Supermarkt und kaum etwas lässt während meiner Arbeitszeit mein Herz höher schlagen, als einen handgeschriebenen Einkaufszettel zu finden. Mittlerweile haben sich schon einige Exemplare bei mir angesammelt :)

    Sorry für diesen langen Vortrag. Was ich sagen wollte: ich bin da ganz deiner Meinung und freue mich, dass du darüber aufmerksam machst!
    Vielen Dank,

    Lisa

  • Ach Mensch, entschuldige - Joana - verflixte Autokorrektur! Das wäre mir mit dem Stift nicht passiert ;)

  • Sind die Bilder analog oder nur nachbearbeitet?
    Interessiert mich nur, weil echte analoge Bilder deinen Zeilen noch viel mehr Wert geben würden!

  • I have no idea what you're writhing here (cause I don't speak in Germen), but I absolutely love your blog :)

    • Hey Paulina, I answer you, because I love this post so much that I think you should also understand what it's about :)

      Joana writes about these old things that we keep, and old clock from your grandfather, old pictures of family members you don't know, because they lived before your birth. These boxes with little things, for other they may have no reason, but for you they can be really valuable, emotional.

      And are we maybe the last generation which keeps such things? What about the kids of our kids, will they only have many disks with digital photo trash of all our smartphones. Or will they get only a password to a website...?

      Hope this helps you to understand it a little and my english isn't too bad ;)

      Kisses
      Estelle

  • Ein wunderbarer Artikel, der so wahr ist - darüber sollte wohl jeder mal nachdenken! Irgendwie stellt sich bei mir in der letzten Zeit auch so ein kleiner Wandel ein... Klar, einiges kauft man einfach auf Zeit, aber dennoch finde ich es wichtig, auch ein paar Stücke zu haben, die persönlich und mit einer Geschichte verbunden sind. Ich kaufe zwar trotzdem noch viel zu viel, aber ein paar besondere Stücke (von meinem Papa selbstgebaute Kerzenständer oder meine umgesprühte LC-A) sind in letzter Zeit schon dazu gekommen. Und die Idee von Lisa mit den Einkaufszetteln find ich auch toll! :) Liebe Grüße, Lisa

  • Wieder so ein wahrer Post.. auch bei mir hinterlässt er ein etwas seltsames Gefühl.. wir leben mit Technik, "unsere" Kinder besitzen schon mit 12 ein Smartphone und halten all ihre Erinnerungen nur noch per Tastenklick fest.. Das Fotoalbum ist heutzutage Facebook und was ist eigentlich mit den Freundschaftsbüchern aus der Grundschule? Handgeschriebene Briefe oder auch "nur" Postkarten sind das schönste, was du aus dem Urlaub verschicken kannst.. selbst, wenn ein Bild am Strand per Wlan innerhalb ein paar Sekunden verschickt ist, während die Postkarte meist erst ein paar Tage, nachdem man wieder Zuhause ist, ankommt.
    Ich liebe meine Bilder auf den Festplatten, aber ich freu mich tierisch sie entwickelt in der Hand zu halten.. außerdem hab ich seit einigen Jahren ein Album, wo ich all meine Eintrittskarten etc, einklebe.. Joar.. :D
    Wir müssen anfangen Erinnerungen zu sammeln, festzuhalten für die nachfolgenenden Generationen und vor allem unseren Nachkommen vorzuleben wie man das macht, dass es nicht auf die Technik ankommt, dass man Dinge zum festhalten aufbewahren muss, Spuren hinterlassen.. all das was du aufgezählt hast.. :)
    Ich finde den Stil der Bilder hier auch super schön und das passt wirklich toll, dieses "auf alt gemacht"! Bin begeistert! :)

    • Liebe Nadja,
      Ich stimme dir total zu, obwohl ich erst 14 bin und gar keinen Facebookaccount besitze, verbringe ich, meiner Meinung nach viel zu viel Zeit im Internet. Manchmal wünsch ich mich in eine Zeit, in der es nicht nur darum ging, die meisten Likes und Follower zu haben und so spät wie möglich auf Whatsapp zuletzt online gewesen zu sein. Allerdings war früher auch nicht alles besser. Diesen Blog würde es nicht geben und es wäre viel schwerer Kontakt zu halten, für mich grade ein sehr relevanter Aspekt da ich am Mittwoch von Stuttgart nach HH ziehen werde...
      Jedenfalls - tut mir leid, dass ich so ausschweife ;) - finde ich, kommt es aufs Verhältnis an. Ich bastle beispielsweise liebend gern Scrapbookzeugs - mit digital fotographierten Photos! Und trage Ringe meiner Mutter die ich gerne auch meinen Töchtern - who knows? - weiter vererben würde. Als ich meinen Schreibtisch gestern zum Warenhändler gehe lassen musste... hab ich geweint. Bin halt ein emotionaler Mensch in dessen Welt Dinge mit Geschichte und Hintergrund eine eigene Persöhnlichkeit entwickeln... Ich finde diese Konsumgesellschaft einfach sau nervig... Vor allem hab ich aber in dieser Hinsicht `Angst` vor der Zukunft - wird das noch extremer werden?
      Virtuelle Grüße ;)
      Jette
      P.S. Wir schreiben uns im Unterricht immer noch Zettelchen und Poesiealben gibt es auch noch :)

  • Ich habe viele kleine Erinnerungen aus den ersten Jahren mit meinem Freund. Den getrockneten Kopf der ersten Rose die er mir geschenkt hat. Die Kinotickets als wir zusammen aus waren, kleine Dinge eben, die schon über 7 Jahre existieren. Wenn wir mal alt sind, Kinder und Enkel haben, werd ich das definitiv weiterreichen oder ihnen damit die tollen Geschichten erzählen, die damit verbunden sind :)

    Liebe Grüße
    Tina <3

  • Liebe Joana, vielen Dank für diesen Beitrag. Ich bin einerseits froh, dass du aufmerksam machst darauf. Andererseits stimmt mich diese Situation wirklich traurig. Ich möchte meinen Kindern auch solche Erinnerungen schenken können, frage mich aber immer was? Ich habe wie du, bestimmte Erinnerungsstücke, die mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen sind. Zum Beispiel eine uralte Kamera (ich fotografiere auch und habe nebenbei eine Leidenschaft für uralte Kameras). Oder eine Brosche von meinem Uropa.
    Danke für diesen Beitrag, wirklich!
    Michèle

  • Hallo joana,
    Ich habe deinen post mal wieder verschlungen und bin abermals fasziniert wie jemand, den man überhaupt nicht kennt es immer und immer wieder schafft das eigene innerste anzurühren... bewahre dir das gut, das ist ein wahnsinnig wertvoller wesenszug :-)

  • In hundert Jahren werden sich vielleicht deine Nachkommen deine Fotos anschauen und das Gleiche fühlen wie du. Wer war das schöne blonde Mädchen? Was hat sie in dem Moment gedacht? Denn Fotos werden immer - egal ob analog oder digital - den Moment transportieren und vor allem für die Ewigkeit festhalten.

  • Ich denke wie du auch ganz oft darüber nach, wie es in unserer Gesellschaft heute zu geht. Der Wandel, die Schnelllebigkeit und geringere Wertschätzung. Wie du schreibst gibt es nur noch wenige Schätze und ich hoffe trotzdem meinem Sohn später irgendwas emotional wertvolles mit auf seinen Lebensweg zu geben. Irgendetwas, was seine Gedanken und Gefühle berührt und sein Herz erwärmt. Bei mir zu Hause habe ich eine Kiste, wo jeder persönliche Brief und jede Postkarte von Herzensmenschen drin ist. Wenn ich mir von Zeit zuZeit die Karten ansehe, kann ich mich in die Zeit zurück versetzen und mir fallen aufeinmal wieder ganz wundervolle, fast vergessene Abschnitte ein...

    Alles Liebe
    Sina

  • Ich liebe diese Dinge. Die Schatztruhe in meinem Zimmer, innen mit Samt bezogen, gefüllt mit Münzen die ich nicht mehr kenne. Das Märchen, das mein Urgroßvater geschrieben hat, noch in alter Frakturschrift - ein Märchen, das eigentlich so kritisch und anklagend ist, dass er unter anderem deswegen aus Deutschland fliehen musste. Die kleinem Glasdackel auf meinem Schrank.
    Ich fände es traurig, wenn nicht mehr von mir übrig bleibt als Worte auf einer Festplatte und Schnäppchen von Butlers. Wahrscheinlich liegt in meinem Zimmer deshalb kein Kindle herum - mir täte es Leid um den Duft der Seiten, das Geräusch beim Umblättern, verblasste Spuren neben den Buchstaben und die bunten Einbände im Regal. So war es schon vor Jahrhunderten, so ist es jetzt auch noch schön.
    Die Bilder sind ganz wunderbar!

    Alles Liebe,
    Mara

  • Liebe Joana,
    das ist ein ganz wundervoller Bericht.
    Die Bilder sind einfach klasse! Aber wie hast du sie so toll bearbeitet? Würdest du davon mal ein Tutorial machen?

    Viele liebe Grüße,
    Marina

  • Tolle Bilder (wie immer, hihi). :)
    Ich selbst habe nichts, das mir vererbt oder weitergegeben wurde. Ich hatte mal einen Ring, den meine Mama als Jugendliche getragen hat, allerdings habe ich ihn so ca. mit 13 Jahren immer getragen, obwohl er mir viel zu groß war und ihn irgendwann verloren. Ich bin manchmal schon ein bisschen neidisch, wenn ich höre, dass andere so tolle Kleinigkeiten aus ihrer Familie haben. Ich habe eine Kiste mit Dingen, aus meiner Kindheit, die ich selbst gesammelt habe. Darin sind z.B. kleine Fossilien aus Museumsshops, Glasbonbons aus Venedig oder ein glänzender Stein (so, wie man sie an einigen Weihnachtsmarktständen kaufen kann) den ich im Kindergartenalter im Wattenmeer gefunden habe, glatt geschliffen vom Meer. Als ich ihn gefunden habe, habe ich mich gefühlt wie der tollste Schatzsucher, der etwas ganz wertvolles gefunden hat. :)
    Ich finde solche Dinge echt toll und liebe es, sie mir anzuschauen, allerdings hänge ich nicht so sehr an den Dingen. Letztendlich ist alles vergänglich und die Schätze auf der Erde sind so gesehen wertlos. Ich finde den Glauben und die Erinnerung viel wichtiger und schöner. :)

    Liebe Grüße ♥

  • Toller post ❤
    Ich finde es so schade, dass die 5. Klässler von heute gar nicht mehr wissen was für einen wert ein kleiner Gegenstand hat, sie sehen nur den wert ihres Smartphones und wünschen sich doch ein neueres, besseres... Ich habe nur einen Opa kennengelernt und den leider auch nur sehr kurz, von ihm habe ich eine kleine Schmuck Schatulle bekommen in der ich besonderen Schmuck habe. ❤

  • Liebe Joana,
    du hast wieder mal einen wundervollen Blogeintrag verfasst. Ich liebe deinen Blog und lese ihn regelmäßig. Ich bin immer ganz aufgeregt, wenn es einen neuen Post gibt.
    Ich persönlich habe auch so eine Kiste, eigentlich sogar zwei - eine bei meinen Eltern in meinem alten Kinderzimmer und eine in meiner eigenen Wohnung. Ich fotografiere sehr viel und sehr gern und ich habe immer noch Fotoalben! Ich liebe es einfach die schönsten Bilder auszusuchen, ausdrucken zu lassen und sie dann in mein Fotoalbum zu kleben. Ich bin da ganz altmodisch und schreibe viel auf und sammle Eintrittskarten und kleine Dinge. Die kommen dann alle wenn es geht in eins meiner Alben.
    Deine Bilder sind großartig! Macht weiter so. :)
    Liebe Grüße,
    Erika

  • Wow die Bearbeitung ist fantastisch. Deinen Worten kann ich übrigens auch sehr gut folgen und stimme dir da absolut zu. Wirklich gelungen.

  • Du schreibst toll, Joana, keine Frage und immer wieder triffst du es mit deinen wundervollen Texten auf den Punkt, aber selten fand ich einen Beitrag so grandios und wahr wie diesen hier!
    Lg Ronja

  • Ein wundervoller Post. Und du hast so recht, wir digitalisieren zu viel und investieren zu kurzfristig. Aber wenn man das realisiert hat, kann man ja anfangen wieder nachhaltiger zu leben :)

  • Wunderschöner Beitrag. Du hast so recht mit dem was du schreibst, dadurch das alles digitalisiert wird geht so viel verloren. Ich habe vor ein paar Wochen alte Dias von meinen Großeltern gefunden, das war so schön sich die anzugucken. Ich glaube nicht, dass sich später irgendjemand mal denk: "Oh toll ein alter Laptop, da sind bestimmt schöne Bilder drauf".. mal abgesehen davon, dass der meistens sowieso nicht aufgehoben wird.

    Liebste Grüße. MS
    http://allmylovems.blogspot.de

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Veröffentlicht von
Joana

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