Hilfe, ich verliere mein Zeitgefühl.

Ich verliere mein Zeitgefühl.

Ich weiß nicht, wann es angefangen hat. Oder vielmehr, wann ich es bemerkt habe. Mein Leben im Schnelldurchlauf.

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Eigentlich war alles normal, etwas chaotischer als bei anderen, aber das behaupten ja alle von sich. Dann fingen die Monate an zu fliegen, die Jahre gingen ins Land, ein Ereignis löste das andere ab – die Geburtstage waren gefühlt wie Kläppchen im Adventskalender: Jeden Tag ein Türchen. 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24. Und 25. Bin ich wirklich schon so lange hier in Münster? Wo ist die Zeit geblieben? Mein Leben fühlt sich an wie früher, als ich bei dem Spiel „Sims“ die Zeit schneller gedreht habe, bis meine Männchen nur noch verzweifelt mit den Armen gewedelt haben. Genau so. „Entschuldigung, können wir mal halten?“ Auf einer Busreise ohne Haltestellen. „Hier können wir nicht halten – aber du kannst aus dem Fenster gucken!“ Also gucke ich aus dem Fenster – sehe Städte, Menschen, Länder im Schnelldurchlauf. Kann mir keine Namen merken, habe von vielen Städten nicht mehr als den Hauptbahnhof gesehen. Meine morgendliche Routine ist nach ein paar Jahren perfektioniert und auf 10 Minuten heruntergebrochen, ich habe alle nötigen Habseligkeiten jeden Tag dabei, als wäre ich ein Mädchen auf einer Party, die noch nicht weiß, wo sie morgen aufwacht.

Ich habe mir angewöhnt, mir nichts anzugewöhnen. Auf Veränderung folgt Veränderung. Ein besiegter Gegner bedeutet ein neues Level, ein neues Level einen neuen und größeren Gegner. Kein Platz in meinem Kopf für alte Erinnerungen, so viel Neues muss reinpassen, das darf nicht durcheinanderkommen. Fotos und Texte als mein wertvollster Besitz, Beweise meiner vergangenen Jahre, die viele Geschichten erzählen, die ich so schnell schon wieder hinter mir lassen musste. Mein Blog ist wie das Denkarium bei Harry Potter, gesammelte Gedankenfetzen und Gefühle, archiviert und chronologisch abgelegt.

„Meld dich mal, wenn du Zeit hast, dann gehen wir einen Kaffee trinken!“ rauscht ein Satz an meinem Ohr vorbei. „Ja, mach ich! Sage ich und lächle freundlich, als ich mich verabschiede.“ Ich sage es und denke gleichzeitig: „Es tut mir Leid, das geht nicht. Die Zeit rast und ich muss mit, sonst bleib ich hier.“

Ich bin mir sicher, dass das Karussell bald wieder langsamer dreht und ich die Welt um mich bald wieder klar erkennen kann. Ein Marathonlauf mit Freunden, die Beine tun ein bisschen weh, aber gemeinsam sind wir stark. Wenn ich mal alt bin, dann erzähle ich meinen Kindern stolz von dieser Zeit. „Das habe ICH geschafft“ werde ich dann sagen, „und jetzt bin ich angekommen“.

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Die Illusion eines selbst bestimmten Lebens in der Selbstständigkeit ist eine große schillernde Blase. Jeden Tag beantworte ich viele Mails von jungen Menschen, die diesen Traum noch vor sich haben. Ich möchte euch nichts schlecht reden, aber auch nicht gut. Ich möchte nur, dass ihr eins wisst: Springt ihr einmal auf diesen Zug, dann könnt ihr nicht anhalten. Ein selbst gewähltes Schicksal, für die einen die Lebenserfüllung, für die anderen eine Fehleinschätzung der eigenen Prioritäten. 

Ich liebe meine Reise, ich habe schlimme Tage und großartige Tage, mein Leben ist ein Abenteuer und die Zukunft ein unentdecktes Land, in dem Schätze und Gefahren lauern können.

Für dieses Abenteuer zahle ich einen hohen Preis, aber es ist eine Investition in mein Leben. 

Momentan bin ich auf der Durchreise.

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Kleid: Lookbookstore* // Cardigan und Schuhe: h&m

24 Antworten zu “Hilfe, ich verliere mein Zeitgefühl.”

  1. lauraaalein sagt:

    Hey das hört sich mal nicht sooooo glücklich an 🙁
    Kopf hoch. Denn hübsche Köpfe sollten oben getragen werden. ♡

  2. Evchen sagt:

    Wow! Schön geschrieben,wie immer. Du sagst, du hast schlimme und großartige Tage. Was ist an den schlimmen Tagen schlimm? Was glaubst du, worin sich die schlimmen Tage eines Selbstständigen zu den schlimmen Tagen eines Angestellten unterscheiden?

  3. Rhaja sagt:

    In deinem wundervollen Text habe ich mich wiedergefunden.
    So unfassbar schön!
    Da braucht es keine andere Worte mehr.

    Ausser – halt durch! Irgendwann machen wir einen Sprung aus dem fahrenden Zug und entdecken eine fremde neu, aber genauso abenteuerliche Welt für uns allein.

  4. Fashion Kitchen sagt:

    Die Fotots sind wirklich toll geworden…

  5. Sunny sagt:

    Das bild mit den grdinenschatten ist grossartig ! <3

  6. Christine sagt:

    So unglaublich schön geschrieben! Ein berührender Text.

  7. Tina sagt:

    Wie schön. Ich kann verstehen, was du meinst, finde aber, solange man das, was man macht, liebt, und es auch noch mit den Leuten macht, die einem am Herzen liegen, ist es das Richtige. Und irgendwann, wenn man über dem Berg ist, dann wird alles einfacher, man hat wieder etwas mehr Zeit, etwas mehr Ruhe. Ich wünsche dir bis dahin viel Kraft und vor allem so viele liebe Menschen um dich herum, die dir diese spenden werden 🙂

    Liebe Grüße
    Tina

  8. Manuel sagt:

    Ein großartiger Artikel, der das wahre Leben von so vielen widerspiegelt. Ich hab ihn jetzt zum zweiten Mal gelesen und er zieht mir wirklich die Schuhe aus. Ihr macht hier so wunderbare Arbeit auch wenn ich als „Nichtmädel“ vielleicht nicht eure Zielgruppe bin. Das kann nicht falsch gewesen sein. Nimm Dir die Zeit, den Kaffee zu trinken! Jeder von uns hat immer zu wenig Zeit. Niemand kann einfach so einen Kaffee trinken gehen, ohne auf etwas anderes zu verzichten. Es liegt an der Organisation es doch hinzubekommen und dann ist es umso schöner und gewinnbringender, es getan zu haben – obwohl es eigentlich nicht geht. Weitermachen!

    Liebe Grüße, Manuel

  9. Carsten sagt:

    Das ist das Leben… und es läuft im Grunde für alle gleich. Selbstbestimmung ist, wenn ich das mache was ich machen möchte…. Frei bin ich deswegen noch lange nicht, denn die Welt ist voller Sachzwänge… egal welcher Rolle man gerade durchs Leben schreitet… …n kluger Mensch hat mal gesagt „Freiheit ist eine Illusion. Freiheit ist die Freiheit seine Abhängigkeit frei wählen zu können“…. ich denke da ist viel wahres dran. …und mit den Rollen, das finde ich auch wichtig… nämlich das man authentisch ist in dem was man tut und ist. …ich denke dann wir alles im Schnitt leichter. …und aus dem Zug kann man ja auch jederzeit aussteigen, Das Leben ist Versuch und Irrtum… …scheitern ist was normales… daraus lernen wir und sammeln unsere Lebenserfahrung. Schlimmer wäre nur den Traum nicht gelebt und die Erfahrungen nicht gemacht zu haben. Also lebe deinen Traum, und wenn´s vorbei ist lass ihn los und lebe den Nächsten. Das tolle ist ja das man immer neue Träume erzeugen kann. Im übrigen glaube ich auch daran das wir die Zeit selber beeinflussen können… ob sie langsamer läuft oder schneller…. hat auch etwas damit zu tun wie bewusst wir zwischendurch immer wieder die Momente erleben und feiern. Einfach mal Pause machen, Seele baumeln lassen, Chillen, Muße haben, zwischendurch und anderen zuschauen wie sie auf dem Karussell fahren ist cool 🙂

  10. Ronja sagt:

    Diese Fotos und dieser Text! Großartig! Bitte schreib irgendwann ein Buch! Einem Buch in dem man sich immer selber dien wieder findet, egal in welcher Lebenssituation. So ist das nämlich auch mit deinem Blog. Einfach wunderschön!
    Liebste Grüße, Ronja
    www.sothisiswhat.com

  11. themodernchlamys sagt:

    hey, freut mich zu sehen, dass es noch blogger gibt, die sich zeit für ein paar sinnvolle Worten nehmen. habe deinen Text mit Interesse und Zustimmung gelesen. Schön geschrieben und natürlich sehr sehr schöne Fotos. Weiter so 🙂

  12. nina sagt:

    Wieder mal ein echt gelungener text. Du hast echt recht, finde mich in deinem post gerade wieder. Steh gerade vor einer entscheidung was mit der berufswahl zusammen hängt und bin einerseits echt entschlossen und weiß aber auf der anderen seite nicht ob ich das richtige tun werde und es später nicht doch bereue…
    Deine bilder sind echt super, das licht ist sehr schön

  13. Lichthauch sagt:

    Kennst du das Gefühl, wo du denkst, dass eine Person dir in dein Herz schaut?
    Es ist gerade nämlich so, und kleine Tränchen bilden sich in meinem Äuglein.
    Gerade heute, und gestern und vorgestern und so viele male mehr, musste ich daran denken, wie schnell die Zeit vergeht, musste dran denken, was an diesem und diesem Datum im letztem Jahr los war. Es hat sich so viel verändert, aber irgendwie auch nichts. Die Tage vergehen Tag für Tag, und jeder bringt was anderes. Manchmal denk ich mir nur, du kommst nicht voran, gehst vielleicht sogar ein paar Schritte zurück und dann schlaf ich ein, wache auf, durchlebe den Tag und stelle fest, dass ich doch vorankomme. Doch irgendwie ist es zu schnell, ich würde gerne für ein paar Minuten anhalten, und schreien „Moment mal, was ist hier eigentlich los?“. Die Menschen um mich verändern sich, ich veränder mich, und das ohne es zu merken. Mein Leben verändert sich. Schon wenn ich auf dieses Jahr blicke und darüber nachdenke wie viele Erfolge und Misserfolge ich erlebt habe, wenn ich 2014 mit 2013 vergleiche, es ist unglaublich. Ich glaub ich bin in so vielen Hinsichten ein anderer Mensch geworden. Und vor allem glaub ich jetzt an mich. Liebe Joana, ich kann dich so gut verstehen, und du zeigst mir immer wieder aufs neue, dass ich mit meinem Denken nicht alleine bin. Danke dir dafür. Die Bilder von dir sind wie immer sehr, sehr schön, und auch wenn deine Haare kürzer sind, so gibst du dennoch eine wundervolle Elfe da. Bei dem einem Bild, wo dein Gesicht ganz nah ist, und du in die Kamera blickst, erinnert du mich an die Bilder, auf denen du etwas jünger warst. Hmm. ich glaube irgendwann wirst du nicht mehr auf der Durchreise sein, irgendwann wirst du ankommen, und bis dahin, noch sehr viel erleben :*

  14. Ilka sagt:

    WOW! Wahnsinnig schöne Fotos mit einem Hauch Frühling!
    Ich kenne das Gefühl dieses nicht anhaltenden Zuges auch. Das Leben hält für niemanden zwischendurch an , deshalb renne ich, um mit ihm mitzuhalten. Oft weiß ich gar nicht, an welchem Ort ich mich gerade befinde, habe aber auch gar keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, weil ich schon weiter laufe. Ich sage allen, ich bin unterwegs. „Aber du wirst doch mal einen Zwischenstopp einlegen können“ – „Nein, eben nicht. So leid es mir tut.“ Wahrscheinlich werden wir bis zum Schluss rennen. Aber genau das macht ja den Spaß aus!

    Liebe Grüße ans Team!

  15. Hanna sagt:

    Hallo! Ich bin eigentlich neu hier. Auch ein Blogger. Und auch auf den Durchreise. Es ist manchmal so seltsam wie man seine eigene Gedenken in jemand anderes Text findet. Ich habe diesen Blog gefunden wenn ich nach Deutsche Blogs gesucht habe weil ich schon in 3 Wochen von Estland nach Deutschland ziehe. Mir gefällt es hier. Danke schön!

  16. Jay sagt:

    Mag diesen leicht angehauchten, älteren Style dieser Bilderreihe irgendwie total gerne! :))
    Liebe Grüße 🙂

  17. Handbags for Less sagt:

    Great look, love it.

  18. Franzisca sagt:

    Habe beim Lesen dieses Lied gehört, da habe ich richtig Gänsehaut bekommen:

    https://www.youtube.com/watch?v=S9yMykm8b98&index=1&list=PLyZwWRpjWnl1fwUEEJ4T0dq3MAqAsfIoC

  19. Andrea sagt:

    Die Bilder sind diesmal ganz besonders toll!

  20. Susie aus der Villa Lebenslust sagt:

    Hallo, ein sehr schöner Text der zum Nachdenken anregt. Meine Antwort ist der von Carsten recht ähnlich 🙂 so ganz „frei“ sind wir ja eigentlich nie aber in gewissem Rahmen können wir es selbst gestalten. Liebe Grüße Susie

  21. Céline sagt:

    Ein sehr schöner und nachdenklicher Text. Tut mir leid, dass es im Moment so für dich ist, aber wenigstens weißt du dass das was du tust dich erfüllt und glücklich machst. Eine Umarmung für dich.
    Liebe Grüße,
    Céline von http://electricfeel-now.blogspot.de/

  22. Dawn sagt:

    Hmm aber warum kann man nicht mehr aus dem Zug springen? Es gibt doch Menschen, die sagen, es sei nie zu spät für einen Neuanfang.

  23. Kaddi sagt:

    Dein Text spricht mir aus der Seele. Seit ich mit meiner Ausbildung angefangen habe, habe ich auch das Gefühl die Zeit rast an mir vorbei!! Den ganzen Tag im Geschäft und abends komm ich müde nach Hause.. Daran muss man sich nach einer – im Nachhinein – ziemlich entspannten Schulzeit erst einmal gewöhnen… und dann ist der Terminkalender auch noch so voll gestopft, dass Freunde, in manchen Wochen, gar keinen Platz mehr haben. Aber ab und zu muss man sich auch mal eine kleine Pause gönnen! Vor allem wenn man, so wie ihr, selbstständig ist und so viel um die Ohren hat! Nehm dir die Zeit, auch wenn es nur ein Stündchen ist, und geh mit einer Freundin einen Kaffee trinken! Das ist eine schöne Abwechslung zu deinem routinierten und anstrengendem Arbeitstag und gibt dir neue Kraft und Energie!
    zum Schluss noch danke für deine schönen Texte die du immer schreibst! Ich lese sie sehr sehr gerne, denn sie bringen, dass auf den Punkt über das auch ich oft nachdenke! Und deine Bilder sind wie immer super schön und passen perfekt zu deinen Gedanken!

  24. Paula sagt:

    I wish I knew how to read German, is it? So i could read your posts! Your photos are just lovely, congrats 😀

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